Evil-Radio | 9. Türchen

#

# Bis Heiligabend


Die ersten Schneeflocken tanzen sanft vom Himmel, und die Welt wird in ein zauberhaftes Weiß gehüllt.


Heute Live

20:00 Uhr Live

Joni



Ein roter Punkt im Winterweiß

Kindergeschichte Winter im Apfelbaum – Von Schneeflockensternchen und einem vergessenen Apfel

Der Winter war gekommen und der Wind wehte eisig kalt über die Apfelwiese. Die letzten Blätter, die den Herbst überdauert hatten und sich noch an den Zweigen festhielten, waren starr vor Kälte und trocken wie altes Papier. Sie knisterten auch so, wenn sie einander berührten. Es klang wie ein heiseres ‚Klick-Klack‘.

Und klick-klack klackerten vereinzelte Blätter zu Boden. Die Kälte hatte sie schwer gemacht und sie konnten sich nicht länger an den Bäumen halten. Sanft lösten sie sich von ihren Zweigen und fielen, eines nach dem anderen, schnurgerade ins nasse, mit Raureifsternchen bemalte Gras.

Nun hing der kleine Apfel, der bei der Ernte vergessen worden war, ganz alleine am Baum. Gar nicht gut fühlte sich dieses Alleinesein an. Am liebsten wäre der einsame Apfel seinen Blätterfreunden hinterher gesprungen. Er schaffte es jedoch nicht, sich von seinem Ast zu lösen. Er reckte und streckte sich, beugte und drehte sich im Wind, doch sein Stängel klebte am Zweig des Apfelbaumes fest.

Vor Anstrengung hatte er ganz frische, rote Backen bekommen.

„Wie schön du geworden bist!“, sagte der Rabe, der jeden Tag seinen Mittagsschlaf im Apfelbaum hielt. „Zum Anbeißen schön.“

Es war der selbe Rabe, der im Sommer „Was bist du doch für ein farbloser kleiner Apfel! Bestimmt schmeckst du bitter!“ zu ihm gesagt hatte.

„Bestimmt schmecke ich bitter“, antwortete der kleine Apfel nun schnell, denn er hatte keine Lust auf hungrige Rabenschnabelbisse. Noch weniger Lust aber hatte er, den Winter apfelseelenalleine im großen, kahlen Winterbaum zu verbringen. Es machte ihm Angst.

Da setzte sich ein kleines Sternchen auf sein kaltes, rotes Apfelbäckchen. Wie schön es war! Und wie zart es sich anfühlte! Zart und kostbar und kühl.

„Wer bist du?“, flüsterte der Apfel.

„Ich bin Schneeflöckchen“, antwortete das Sternchen. „Und wer bist du und was machst du hier?“

„Das ist eine lange Geschichte“, sagte der Apfel mit einem Seufzer. „Wenn du bei mir bleibst, erzähle ich sie dir.“

„Ich bleibe gerne“, sagte das Sternchen. „Den ganzen Winter, wenn du magst. Es gefällt mir bei dir. Du duftest süß.“

Da freute sich der kleine Apfel „Wie fein!“, sagte er. „Nun bin ich nicht mehr allein.“

Und das war er auch nicht mehr. Noch viele Schneeflocken fanden den Weg zu dem kleinen, köstlich süß duftenden Apfel an dem großen, dunklen Baum. Und alle wollten sie bei ihm bleiben. Sie setzten sich auf die roten Apfelbacken und lachten und tuschelten und wisperten.

Auch der kleine Apfel, der nun kein trauriger, langweiliger Apfel mehr war, lachte und tuschelte und wisperte. Er war glücklich mit seinen neuen Freunden. Seine Apfelbacken glänzten so rot, dass man ihn von weitem am verschneiten Baum sehen konnte. Er sah so wunderschön aus mit seiner Schneeflockenmütze. Ein kleiner roter Punkt im hellen Winterweiß.

© Elke Bräunling

#